Schulleiter a.D. Dumonts Tagebuch

Tag 711 der Baustelle

Bereits einige Male war ich davon fasziniert, wie ein Thema von außen an mich herantrat, mich eine Zeitlang beschäftigte, wie es dann scheinbar abgeschlossen war und mich dann von einer unerwarteten Seite erneut einholte. So ging es mir heute bei unserem Studientag zum Thema Heterogenität. Seit langem hatten wir ihn ja vor, durch Corona und die Schulschließung mussten wir ihn immer wieder verschieben und aufgrund der Lockerungen entschlossen wir uns dazu, ihn jetzt noch durchzuführen. Alles war erneut vorbereitet, die Referentinnen gebucht, Inhalte abgesprochen. Wer weiß, wie es im kommenden Schuljahr aussehen wird. Ich erwähnte dies bereits. Für das Kollegium war es zusätzlich ein „plenares Wiedersehen“, das wir auf diese Weise schon lange nicht mehr erlebt hatten: Das ganze Kollegium traf sich mit Masken in der Turnhalle, sechs Referentinnen aus dem Pädagogischen Landesinstitut waren angereist, um uns zu unterstützen.

Tag 710 der Baustelle

Fast, aber nur fast ist das ja ein normaler Schulbetrieb: Ganze Klassen sind da und in den Klassenräumen sehe ich keine Masken mehr. Welch eine Erleichterung das bedeutet, wurde mir erst klar, als ich es gestern in Wachenheim erstmals selbst erlebt habe: ich selbst bekomme besser Luft, sehe in komplette Gesichter und kann mimisch wiedererkennen, was gerade „abgeht“, mit welcher Stimmung bei der Schülerschaft ich zu rechnen habe. Ich meine auch wahrzunehmen, wie erleichternd sich der Wegfall der Masken am Platz sich auf die Schülerinnen und Schüler auswirkt. Irgendwie herrscht eine andere, eine leichtere, eine ge- oder gar erlöste Stimmung. Jetzt kann es nur darum gehen, nicht leichtsinnig zu werden und die Pandemie als überwunden aufzufassen. Lese und höre ich derzeit die Nachrichten, wird angesichts der sehr niedrigen Inzidenzwerte immer wieder vor der Delta-Variante gemahnt, von der niemand weiß, wie gefährlich sie sich in der Ausbreitung verhält. Sie sei durchaus in Deutschland angekommen und verbreite sich bereits. Da sie ansteckender ist, als die Ursprungsviren, herrscht große Verunsicherung.

Tag 708 der Baustelle

Noch immer sitzt der Archäologe im Nebenerwerb, der „neugierige Scherbenputzer, Schichten- und Faltenleser“ (ebd. S. 10), am ersten März-Sonntag in der protestantischen Kirche in Rom neben dem Papst und lässt seinem Gedanken- und Analogiestrom freien Lauf. Er durchstreift gedanklich die Parkanlage der Villa Borghese und bleibt bei einer herrlichen Skulptur aus Marmor von Bernini an einer weiteren Hand hängen, die des „[…] geilen Apoll […] der seine linke Hand in so zarter wie entschiedener Besitzergreifung auf Daphnes Hüfte und Bauch legt und die vor dem Reich der Sinne fliehende, sich in einen Lorbeerbaum verwandelnde Schöne vergeblich festzuhalten versucht“ (ebd. S. 15). Von Berninis Daphne über Brescianinos Venus und Fontanas Minerva und Tizians Himmlische – der Archäologe muss sich zwingen, in Anbetracht des neben ihm sitzenden Papstes die schönen Frauen aus seinen Gedanken zu verbannen, zurückzukehren zu dessen linker Hand.

Tag 705 der Baustelle

Neu ist der Gedanke beileibe nicht, dass Schulen eine Patenschaft für jüdische Friedhöfe übernehmen, schließlich arbeiten seit Jahren Schülerinnen und Schüler unserer Schule in Deidesheim auf selbigen und machen ihn sozusagen winterfest. Auch den viel größeren Friedhof in Wachenheim verknüpfen die Religionsgruppen mit der Schule und besuchen ihn innerhalb einer Unterrichtsreihe. Hinzu kommt, dass mich jüdische Friedhöfe seit Jahrzehnten immer wieder neu berühren, was ich nicht zuletzt in dem Text Letztens ging ich über den jüdischen Friedhof in dem Büchlein Letztens mit einer eigenen Würdigung versehen habe. Dennoch stufe ich es als Glücksfall und als Erfolg persönlicher Beziehungen ein, dass es nun eine Anfrage gibt, ob wir nicht den Wachenheimer Friedhof „unter unsere Fittiche“ nehmen wollen. Konkret bedeutet das, dass immer mehr Grabsteine zu verwittern drohen, weil sie von Moos und Efeu bewachsen sind, die Städte als Eigentümer vieler Friedhöfe ab mit dem Reinigen nicht hinterherkommen. Es geht lediglich darum, mit zarten Bürsten, auch Zahnbürsten, das Moos abzutrennen, vielleicht auch in den Vertiefungen der eingehauenen hebräischen Buchstaben, um die Verwitterung der Steine etwas zu verlangsamen. Auf keinen Fall dürfen effektivere Bürsten mit Metallborsten verwendet werden. Diese griffen zu massiv in den alten Sandstein ein.

Klassen der höheren Jahrgänge könnten zusätzlich Recherchearbeit leisten und die Gräber katalogisieren. Das gibt es bei verschiedenen jüdischen Friedhöfen, nicht so für den recht sehr alten und recht großen in Wachenheim. Ein Übersetzer der hebräischen Schriftzeichen könne ganz in der Nähe gefunden werden. Vor allem die Trauerhalle, die in Rheinland-Pfalz eine Besonderheit darstellt und immer baufälliger wird, müsste dringend restauriert werden, was die Schulpatenschaft natürlich übersteigt. Soweit die Vorgeschichte, die ich im Eintrag am 21. Mai bereits kurz erwähnt hatte.

Tag 704 der Baustelle

Was ist denn das? Eine ganze Klasse vor mir? Kein Abstand zwischen den Schülerinnen und Schülern durch einen freien Tisch? Wie ungewöhnlich und ein völlig anderes Gefühl als die Monate zuvor und im Grunde eigentlich Normalität des Lehrerberufs. Wie schnell sich der Mensch doch an Neues anpassen kann. Immer wieder hörte ich, dass ihm genau diese Fähigkeit in seiner Evolutionsgeschichte zugutekam. Und mit den ganzen Klassen, die diese Woche zurückkommen, nicht genug: Ab kommenden Montag fallen auch die Masken im Unterricht. Auf den Fluren müssen sie zwar noch immer getragen werden, aber sinkende Inzidenzzahlen lassen Lockerungen im Unterricht zu, die Testpflicht allerdings bleibt zweimal die Woche erhalten. Die Logik erschließt sich mir zwar nicht, denn kaum ein Abstand ist kleiner als der zu einem daneben sitzenden Jungen oder Mädchen, aber es ist nicht mein Job, dies einzuschätzen und darüber zu befinden. Da wird auch die Universitätsmedizin grünes Licht gegeben haben. Heute erreichte mich eigens noch ein Leitfaden für musikpraktischen Unterricht, etwa in Bläserklassen, bei denen ja vermehrt Aerosole durch das Spielen freigesetzt werde. Schade, über das Singen ist nichts ausgeführt, aber im Freien dürfte es ja gehen. Ich bin gespannt, wie diese teilweise Rückkehr zu einem Stück Normalität sich auswirkt. Auf alle Fälle musste ich heute viel mehr auf Ruhe achten. Klar, auch die Kids müssen ja jetzt erstmal wieder ankommen, sich nach Monaten in den ganzen Klassen einfühlen und sich an die eine oder andere (Gesprächs-)Regel auch in ganzer Klasse gewöhnen.

Tag 702 der Baustelle

Überall im Lande wohl das gleiche Bild: Ganze Klassen kehren in den Schulbetrieb zurück. Nur bei uns sehe ich nur einzelne Schülerinnen und Schüler, im Schlepptau (meistens) die Mütter auf dem Weg zu den Schüler-Eltern-Lehrer-Gesprächen mit den Tutorinnen und Tutoren. Wie werden sie dieses verkorkste letzte Halbjahr bewerten? Was hat im Home-Schooling funktioniert? Was nicht? Und wie all die Jahre zuvor auch, nehme ich eine entspannte Atmosphäre wahr. Viele begrüßen mich freundlich und lächelnd, zumindest leite ich das von dem ab, was ich hinter den Masken vermuten kann, wenn ich lediglich in Augen blicke. Aber da gibt es ja noch die Ohren, zu denen immer wieder ein Gruß in fröhlicher Satzmelodie durch die Masken vordringt: „Hallo, Herr Dumont!“

Tag 699 der Baustelle

Der Start in Wachenheim bedeutete heute wieder eine A-Gruppe in Musik zu unterrichten. Einige der Kids waren unsicher im Cupsong. Flugs trennten wir die Gruppe. Die im Rhythmus sicheren Becherbeweger nahmen sich eine/n unsicheren, gingen auf den Hof und übten in der eins-zu-eins-Situation den Ablauf nochmals ein. Mit besten Ergebnissen, denn hinterher klappten die Durchgänge in ganzer Gruppe famos.

Tag 697 der Baustelle

Fenster mit eingebautem Glas? Die Nordseite des Rohbaus sieht mit den Fensterscheiben gleich ganz anders aus, nicht mehr wie eine Ruine, viel eher schon wie ein bewohntes Gebäude. Die offenen Fenster erlauben einen Blick nach innen und ich erhaschte die ersten Trockenwände, die da jetzt schon eingebaut werden. Das heißt, ich sah zunächst mal nur die Metallschienen zwischen Boden und Decke und OSB-Platten. Die Zwischenräume werden dann noch mit Dämmmaterial aufgefüllt uns wohl nochmal mit Gipsplatten bedeckt. Bleibt zu hoffen, dass diese den Geräuschpegel eines Unterrichts nicht in den Nachbarraum durchlassen. Dafür gibt es aber sicherlich Grenzwerte, die eingehalten werden müssen.

Tag 695 der Baustelle

Die Aussage wurde im Flur im Erdgeschoss in Wachenheim getätigt: „Während der Pfingstferien holen wir die Woche, die wir in Verzug sind, auf!“ Nun habe ich ja eine gewisse Erfahrung in Sachen Bau und Terminzusagen. So war ich denn nicht verwundert, als ich heute in Wachenheim kein weiteres Ergebnis beim Austausch der Fenster vorfand. Ganz im Gegenteil: Die Zeit des Verzuges hat sich sogar um eine Woche erhöht. So muss ich also aufgrund der Pfingstferien am Standort Wachenheim keine neue Erfahrung in Sachen Bautermine integrieren.

Tag 694 der Baustelle

Zumindest waren in den Pfingstferien drei Tage Kurzurlaub in der Südeifel drin. Genial hat meine Frau ein Auge auf die Wetterprognosen online geworfen. Die Tage mit Sonnenschein im Blick behaltend, hatte sie auch kurzfristig ein Hotel für uns gefunden. Gerade am Tag nach der Ankunft traten die Lockerungen des Lockdowns in Kraft. Auf der Fahrt noch hörten wir, das Smartphone über Bluetooth ans Autoradio angeschlossen, die Presskonferenz der Ministerpräsidentin. Angesichts der schnell sinkenden Zahlen wird auch der eigentlich für zwei Wochen angekündigte Wechselunterricht nach Pfingsten gekürzt. Natürlich gut zu wissen, aber viel aktueller jubelten wir darüber, dass wir jetzt sogar das kleine Schwimmbad in unserem Hotel jetzt nutzen konnten. Ein Schwimmbad! Türkisblau gekachelt! Sich im Wasser tummeln, tauchen, schwimmen, plantschen…über ein Jahr hatten wir das nicht gehabt! Wie herrlich sich das anfühlt!


Die bisher erschienen Bücher sind erhältlich im: www.littera-verlag.de/Bücher
(Das Autorenhonorar kommt dem Förderverein der IGS zu Gute.)

Tagebuch_6 Soeben erschienen
„Schulleiters Tagebuch 6,
Die Baustelle und Corona“
2021


Letztens 2 „Letztens 2 - ,
Erlebtes rund um die Schule“
2020

Tagebuch 5
„Schulleiters Tagebuch 5,
Warten auf den Bau“
2017 – 2019

Letztens 1 „Letztens –
Schulleiters Tagebuch ergänzende Kolumnen“

tagebuch_4_ "Schulleiters Tagebuch 4,
Der Weg zum Abitur
2014 - 2017"

Tagebuch 1-3"Deshalb IGS -
Positionen und Hintergründe zur Integrierten Gesamtschule mit Beiträgen aus Schulleiters Tagebuch 1 bis 3"

Tagebuch 3 "Schulleiters Tagebuch 3,
Die ersten Abschlüsse,
2012 - 2014"

Tagebuch 2 "Schulleiters Tagebuch 2,
Der Start in Deidesheim,
2010 - 2012"

Tagebuch 1 "Schulleiters Tagebuch,
Der Start in Wachenheim,
2010 - 2012"