Schulleiter a.D. Dumonts Tagebuch

Samstag, 07. März 2020


Tag 251 der Baustelle

Eigentlich ein Novum: Meine Frau brachte mir das Mobiltelefon in meine Kemenate unterm Dach, wo ich mich gerade etwas niedergelegt hatte. „Da ruft dauernd jemand aus Bad Dürkheim an. Ich habe die Mailbox schon mal abgehört. Das Gesundheitsamt bittet dringend um Rückruf“, meinte sie. Ein Amt ruft samstags an? Da muss was los sein.

Die Leiterin fragte als erstes, ob in meinem Kollegium ein gewisser Kollege arbeite. Ich bejahte dies und erfuhr, dass er sich mit dem Coronavirus infiziert hatte. Um eine weitere mögliche Ausbreitung zu verhindern, schließe das Gesundheitsamt ab Montag den Standort Wachenheim. Sie habe mit dem Ministerium in Mainz telefoniert und diese Anordnung abgesprochen. Die Infektionskette soll damit unterbrochen werden. Noch am Telefon ratterte es in meinem Kopf, was das jetzt alles bedeutete. Solch ein einfacher Satz wie: „Wir schließen den Standort in Wachenheim!“ zieht eine Unmenge an unbekannten Konsequenzen nach sich. Zunächst die Frage, ob wir die mutmaßlichen Kontaktpersonen ausfindig machen könnten. Das Amt benötige möglichst komplette Liste mit Kontaktpersonen, das heißt alle Kinder und alle Kolleginnen und Kollegen, die in Wachenheim seit Aschermittwoch zum Unterricht anwesend waren. Das sei übers Wochenende nicht einfach, aber es sei notwendig. „Hatten Sie auch Kontakt zu dem Kollegen?“. Klar hatte ich das. „Dann stehen Sie auch unter Quarantäne! Bleiben Sie zu Hause, begrenzen Sie innerhalb der Familie ihre Kontakte und achten Sie besonders auf die Hygienemaßnamen.“ Und immer wieder drängten sich Fragen in den Vordergrund: Was bedeutet das jetzt alles? Was ist mit dem Standort in Deidesheim? „Der bleibe geöffnet. So habe sie es mit dem Ministerium abgesprochen. Haben Sie eine Kontaktmöglichkeit mit der Grundschule? Auch damit konnte ich dienen. Schnell einen Text für die Homepage verfassen, damit die Meldung möglichst schnell alle erreicht.

Dann machte ich mich daran, anhand der Stundepläne, zu denen ich ja zu Hause auf dem Rechner Zugang habe, den Unterrichtseinsatz der Kolleginnen und Kollegen zusammenzustellen. Ich rief eine der Sekretärinnen an, sie möge doch in die Schule in Deidesheim fahren und dort eine komplette Adressenliste der Fünft- und Sechstklässler erstellen. Per Mail sollte sie noch heute ans Gesundheitsamt geschickt werden. In Kopie erhielt ich die Adressenliste nach nur knapp zwei Stunden seit dem ersten Anruf. Das wäre also geschafft. Beim Erarbeiten meiner Kollegiumsliste kam ich auf insgesamt 21 Lehrkräfte, die während der besagten Zeit in Wachenheim eingesetzt waren. Ich bot in einem der vielen Telefonate mit dem Gesundheitsamt an, dass ich diese wohl am schnellsten über unseren E-Mail-Verteiler erreichen würde. „Wenn Sie das machen könnten, wäre das eine große Hilfe für uns. Ich lasse Ihnen noch einen Brief für die Eltern und für das Kollegium zukommen. Könnten Sie den ebenfalls auf Ihre Homepage stellen?“. Eine weitere Frage sollte ich klären: Nach den Regeln des Robert-Koch-Instituts sollten sich die Kolleginnen und Kollegen einer von zwei Kategorien zuordnen, wozu ich natürlich nicht ad hoc in der Lage war. Ich erhielt dazu folgende Informationen, die ich an diejeniggen Lehrkräfte weiterleiten sollte, die nach meiner Liste in Wachenheim eingesetzt waren. Selbstständig sollten diese die sich jeweils einer der beiden Kategorien zuordnen und mir schnellstmöglich Bescheid geben:

Kontaktperson der Kategorie I mit engem Kontakt ("höheres" Infektionsrisiko):  

· Personen mit mindestens 15-minütigem Gesichts- ("face-to-face") Kontakt, z.B. im Rahmen eines Gesprächs. Dazu gehören z.B. Personen aus Lebensgemeinschaften im selben Haushalt.

· Personen mit direktem Kontakt zu Sekreten oder Körperflüssigkeiten, insbesondere zu respiratorischen Sekreten eines bestätigten COVID-19-Falls, wie z.B. Anhusten, Anniesen, etc.

Kontaktpersonen der Kategorie II (geringeres Infektionsrisiko):

· Personen, die sich im selben Raum wie ein bestätigter COVID-19-Fall aufhielten, z.B. Klassenzimmer, Arbeitsplatz, jedoch keinen kumulativ mindestens 15-minütigem Gesichts- („face-to-face“) Kontakt mit dem COVID-19-Fall hatten.

· Familienmitglieder, die keinen mindestens 15-minütigen Gesichts- (oder Sprach-) kontakt hatten.

Ab vier Uhr am Nachmittag gingen dann die ersten Zuordnungen ein, ganz aus der Nähe oder von weiter weg, denn eine Kollegin erreichte die Nachricht während eines Wochenendes in Mecklenburg-Vorpommern. Zunächst sammelte ich die Rückmeldungen und gab sie dann blockweise weiter ans Gesundheitsamt. Personen der Kategorie I fielen unter Quarantäne und mussten zu Hause bleiben. Kategorie II durften weiterhin in Deidesheim unterrichten. Ebenfalls informierte ich schon mal den Organisationsleiter, denn ein Vertretungsplan für Montag war sicherlich nicht einfach zu erstellen. Auch ihm meldete ich nach und nach die Kolleginnen der Kategorie I, denn diese würden ab Montag ausfallen.

Zwischenzeitlich rief die Schulaufsicht an und erkundigte sich nach dem Stand der Dinge und sagte jedwede Unterstützung zu. Ich könne mich gerne das ganze Wochenende über das private Mobiltelefon melden.

Dann gingen die ersten Telefonate bei mir ein. Kolleginnen und Kollegen fragten nach, wie sie sich zuordnen sollten, weil sie nur auf dem Flur kurzen Kontakt hatten oder nur im Obergeschoss unterrichteten, wo der Erkrankte gar nicht auftauchte. Junge, Junge, da war was los. Aber gegen 20 Uhr kehrte langsam Ruhe ein und ich konnte mich etwas sortieren. Tagsüber war ich so in Beschlag mit all den Anrufen, den E-Mails und dem ständigen Kontakt zum Gesundheitsamt. So langsam wurde mir klar, dass alles, was für die darauffolgende Woche in meinem Terminkalender stand, sich erübrigte. Auch das wollte noch organisiert werden. Vieles ging mir in dieser einmaligen Situation noch im Bett durch den Kopf, sodass das Einschlafen sich etwas verzögerte.


Die bisher erschienen Bücher sind erhältlich im: www.littera-verlag.de/Bücher
(Das Autorenhonorar kommt dem Förderverein der IGS zu Gute.)

Tagebuch_6 Soeben erschienen
„Schulleiters Tagebuch 6,
Die Baustelle und Corona“
2021


Letztens 2 „Letztens 2 - ,
Erlebtes rund um die Schule“
2020

Tagebuch 5
„Schulleiters Tagebuch 5,
Warten auf den Bau“
2017 – 2019

Letztens 1 „Letztens –
Schulleiters Tagebuch ergänzende Kolumnen“

tagebuch_4_ "Schulleiters Tagebuch 4,
Der Weg zum Abitur
2014 - 2017"

Tagebuch 1-3"Deshalb IGS -
Positionen und Hintergründe zur Integrierten Gesamtschule mit Beiträgen aus Schulleiters Tagebuch 1 bis 3"

Tagebuch 3 "Schulleiters Tagebuch 3,
Die ersten Abschlüsse,
2012 - 2014"

Tagebuch 2 "Schulleiters Tagebuch 2,
Der Start in Deidesheim,
2010 - 2012"

Tagebuch 1 "Schulleiters Tagebuch,
Der Start in Wachenheim,
2010 - 2012"