Schulleiter a.D. Dumonts Tagebuch

Montag, 14. Dezember 2020


Tag 524 der Baustelle

Ja, wie ist das denn möglich: Da gewinnt eine Schülerin unserer Schule einen Bundespreis im Europawettbewerb und ich erfahre erst im Nachhinein, dass sie sogar nach Berlin fuhr und dort im Paul-Löbe-Haus bei der Ausstellungseröffnung mit der Vizepräsidentin des Bundestages, Claudia Roth, eine Rede hielt. Das ist doch ein Ereignis erster Güte. Das muss doch bekannt werden. Also informierte ich die Tageszeitung, die bisher auch nicht darüber berichtete. Heute nun fand das Pressegespräch in meinem Büro statt. Lebendig erzählte die Schülerin von den Eindrücken in Berlin, fügte hier noch ein Detail ein und dort ein Erlebnis, das Siegerbild lag ausgedruckt vor uns auf dem Tisch…da bin ich mal auf den Artikel gespannt.

Auf dem preisgekrönten Bild hat sie Menschen ganz verschiedener Herkunft und Prägung, verschiedenen Alters gemalt, so bunt, wie Europa nun mal ist. Zu erkennen ist etwa ein Mädchen mit Zöpfen, sowie eine ergraute ältere Frau, eine Stoffmütze mit dem Friedenszeichen, eine Gothic-Frisur und eine Strickmütze in den bekannten Regenbogenfarben. Alle diese Menschen befinden sich unter dem bunten „Europa-Schirm“, der behütet und schützt. Eine kleine Einzelheit gefiel mir besonders und strahlt auf mich eine Ruhe und Geborgenheit aus: Die Hände, welche verschiedene Menschen anderen auf die Schulter legen - ein starker Ausdruck, gerade von der Figur, die sich als Gothic präsentiert und die vermutlich immer wieder mit Vorurteilen (oder Urteilen?) zu kämpfen hat, gerade sie legt dem jungen Mann mit der Regenbogenmütze tröstend auf die Schulter. Ganz famos!

In der Eröffnungsrede heißt es unter anderem:

„Mir persönlich ist bei der Arbeit an meinem Beitrag aufgefallen, wie gut es uns eigentlich hier in Europa geht. Wir leben in einem Frieden, bei dem es uns möglich ist, unseren Nachbarn in Europa zu vertrauen und friedlich unser Leben zu genießen. Wir haben die Chance, uns frei und individuell zu entfalten. Also habe ich auf meinem Bild Europa als einen großen symbolischen Schirm dargestellt, welcher uns schützt und zusammenbringt. Unter ihm können Menschen wie wir, egal welcher Herkunft, egal welchen Geschlechts und egal welchen Alters, friedlich miteinander leben.

Die Menschen unter dem Schirm habe ich genauso so bunt wie Europa und mit den Merkmalen verschiedenster Gruppen dargestellt. So kann man in meinem Bild die LGBTQ und die Alternative Szene wiederfinden, welche für Individualität, Akzeptanz und Toleranz stehen.

Es ist für uns hier in Europa also unvorstellbar, wie es sein muss, in ständiger Todesangst zu leben oder wie es sich anfühlt, wegen seiner Sexualität, Religion oder Meinung erniedrigt und weggesperrt zu werden. Genau diese Freiheiten sind es, die ich mir für die gesamte Welt wünsche. Dass keiner diese genannten Situationen erleiden muss.

Doch trotzdem gibt es nicht überall auf der Welt diese Freiheit der Selbstverwirklichung und der Gleichberechtigung.

Deshalb sehe ich diese als Ziel Europas an. Doch dafür müssen auch wir hier in Europa kämpfen, damit Diskriminierung erst in Europa und dann auf der ganzen Welt ausgeschaltet werden kann. Europa soll als gutes Vorbild für andere dienen und zeigen, dass wir Menschen auch friedlich miteinander leben und für einander da sein können“.

Glückwunsch auch nochmal von hier aus. All das ist doch einen Artikel wert, stehen doch täglich Informationen weit geringeren Inhalts auf dem Papier. Bin gespannt, was die Redakteurin daraus macht. Ich konnte den Abschluss des Gesprächs nicht miterleben: Der Unterrichtsbesuch bei einem Referendar stand unverrückbar im Terminkalender.

Und dann wiederum etwas Neues, was ich so noch nie erlebt habe: Aufhebung der Präsenzpflicht für Schülerinnen und Schüler. Sie sollen, wenn immer möglich, zu Hause bleiben, um die Kontakte zu reduzieren und dem Virus die Ausbreitung zu erschweren. Dennoch bedeutet dies keine Schulschließung. Dies will jetzt von den Schulleitungen erst einmal organisiert werden. Auf dem Papier findet der Unterricht statt. Somit ist das Land fein heraus, denn alles läuft ja wie gewohnt weiter. Auf der anderen Seite sind aber wohl kaum Schülerinnen und Schüler da, denn die Möglichkeit, zu Hause zu bleiben, wird wohl, gerade vor Weihnachten gerne genutzt. Nein, diese drei Tage sind keine Verlängerung der Ferien, denn die Schule ist offen. Bleibt abzuwarten, für wen. Die Lehrkräfte jedenfalls haben trotz allem ihren Dienst zu leisten. Wenn sinnvollerweise kein Unterricht stattfindet, gilt es, den Fernunterricht vom 4. bis 15. Januar vorzubereiten.

Vergessen habe ich, vom Freitag zu berichten. Ein besonderes Schmankerl nach Unterrichtsende: Gemeinsam mit einem der Hausmeister traten eine Sekretärin und der Schulleiter (mehr oder weniger heimlich) einen Rundgang durch den Rohbau an. Die beim letzten Gang mit dem Bauausschuss des Kreises noch stehenden Stützen sind entfernt, jetzt konnten wir die Raumgröße des Sekretariats viel besser einschätzen. Aha, hier sind die künftigen Büros der Stufenleitungen, hier der teilbare Mehrzweckraum. Dieses Mal konnten wir ja sogar schon in die Obergeschosse hochsteigen. Große Räume öffneten sich den Augen, weil die Zwischenwände in Trockenbauweise noch nicht stehen. Und: Hoffentlich wird es künftig wärmer sein in dem Gebäude, denn der kalte Wind kroch uns sehr schnell durch die Kleidung auf die Haut, weswegen wir den Rundgang auch nicht unnötig verlängerten.   


Die bisher erschienen Bücher sind erhältlich im: www.littera-verlag.de/Bücher
(Das Autorenhonorar kommt dem Förderverein der IGS zu Gute.)

Tagebuch_6 Soeben erschienen
„Schulleiters Tagebuch 6,
Die Baustelle und Corona“
2021


Letztens 2 „Letztens 2 - ,
Erlebtes rund um die Schule“
2020

Tagebuch 5
„Schulleiters Tagebuch 5,
Warten auf den Bau“
2017 – 2019

Letztens 1 „Letztens –
Schulleiters Tagebuch ergänzende Kolumnen“

tagebuch_4_ "Schulleiters Tagebuch 4,
Der Weg zum Abitur
2014 - 2017"

Tagebuch 1-3"Deshalb IGS -
Positionen und Hintergründe zur Integrierten Gesamtschule mit Beiträgen aus Schulleiters Tagebuch 1 bis 3"

Tagebuch 3 "Schulleiters Tagebuch 3,
Die ersten Abschlüsse,
2012 - 2014"

Tagebuch 2 "Schulleiters Tagebuch 2,
Der Start in Deidesheim,
2010 - 2012"

Tagebuch 1 "Schulleiters Tagebuch,
Der Start in Wachenheim,
2010 - 2012"