Schulleiter a.D. Dumonts Tagebuch

Sonntag, 03. Mai 2020


Tag 308 der Baustelle und Tag 49 der Schulschließung

Pünktlich um drei Uhr nachmittags fuhr ich den Parkplatz der Kreisverwaltung an. Natürlich war ich nicht der einzige, sogar das Ordnungsamt einer Gemeinde war da. Da war wohl niemand sonst bereit, sonntags nach Bad Dürkheim zu fahren. Ich fand einen Karton vor, der unsere Masken bereithielt. Holla, mit Landeswappen und dem Hashtag Wefightcorona. Na die werden wohl reißenden Absatz finden. Allerdings sind es nur einlagige Masken und damit nicht so hochwertig. Diejenigen, die für Bus und Bahn notwendig und höherwertiger sind, soll es direkt in den Verkehrsmitteln geben. In solchen Zeiten wechseln die Informationen schnell und Flexibilität ist gefragt. Ich brachte den Karton gleich noch zur Schule, was soll er denn bei mir rumstehen.

Morgen geht es also wieder los. Die stillen Flure und der leere Schulhof werden Vergangenheit sein, das Leben kehrt zumindest in Deidesheim wieder in die Schule zurück. Zwar mit angezogener Handbremse und nur in halber Anzahl, aber es wird den Standort beleben, Ich bin so gespannt, wie das alles morgen sein wird, wie es anläuft, was die einzelnen Kids erzählen, ob sie die Regeln einhalten und so weiter. Schließlich las ich heute in der Sonntagszeitung, dass sich immer mehr Menschen gegen die „Beraubung der Freiheitsrechte“ wehren. Das ruft bei mir Unverständnis hervor. Natürlich zähle ich mich zu den absoluten Befürwortern der Grundrechte und deren Einhaltung, habe sie in elf Jahren Unterricht in Gesellschaftslehre immer wieder betont und deren Wichtigkeit und Unantastbarkeit gepriesen. Aber in diesen Zeiten schränkt doch niemand diese Rechte ein, weil sie ihm zu umfassend sind oder sie grundsätzlich in Frage stellt. Alles beruht doch auf dieser Pandemie und ihrer Gefährlichkeit durch massenhafte Ansteckung. Da ist es doch schon aus Gründen der Fürsorge notwendig, die Infektionszahlen so niedrig wie möglich zu halten. Das kann auch in meinen Augen jeder hinnehmen und aushalten zugunsten der Gesamtlage und aus Rücksicht auch auf die Mitmenschen. Die Freude der Menschen in Spanien, die ich in den Nachrichten miterlebte, grenzt ja fast an eine Befreiung nach so vielen Wochen der Ausgangssperre. Und gleich kann man die Unvernünftigkeit der „Masse“ beobachten, wenn zu Hunderten die Menschen an den Stränden eng beieinandersitzen und Sonne und Wasser genießen. Als hätte jemand gerade in Spanien die Todeszahlen als Witz herbeigeführt.

Mir will das nicht in den Kopf und ich selbst habe diese Zeit auch positiv genutzt. Ich hatte es erwähnt, dass ich die Gitarre hervorgeholt und neu bespannt habe. Seither habe ich täglich meine steifen Finger trainiert und Stücke, an die ich mich erinnerte, im Internet gesucht. Da ist ja fast alles zu finden, selbst wenn ich nur noch den Namen oder eine Vermutung des Komponisten im Kopf hatte. Ich fand auch Seiten, von denen man umsonst die Noten einzelner Stücke runterladen konnte. Ja sogar Videos mit technischen Studien und Übungen, auf die vor knapp vierzig Jahren mein Gitarrenlehrer so großen Wert legte, habe ich gefunden und wieder nachgespielt. Natürlich hat meine Fingerfertigkeit die damalige längst nicht erreicht (wenn das überhaupt gelingen kann), aber ein paar Stücke der klassischen Gitarrenliteratur gehen schon fast locker über die Saiten. Und die schmerzenden Finger durch das Niederdrücken der Saiten ist schon ein bisschen Hornhaut gewichen. Nie im Leben habe ich auch mit meinem Sohn derart exzessiv Mensch-ärgere-dich-nicht gespielt. Weit abgeschlagen liege ich bei unserem Marathon mit 89:34 hinten. Ja, auch wir konnten kein Eis essen gehen und seine Haare verdienten längst eine Ausdünnung durch die Schere des Friseurs. Und richtig ist auch, dass viele Menschen Existenzsorgen entwickeln mussten, auch in meiner Familie und vorgestern starb ein Großcousin meines Vaters mit 89 Jahren an den Folgen des Virus. Dennoch wird es auch für meinen Sohn und mich eine einmalige Zeit bleiben. Ich sehe bei all den Beschränkungen kein Zurückfahren der Grundrechte, sondern Fürsorge zur Sicherheit. Vielleicht sind wir hier durch die vergangenen Jahrzehnte auch verwöhnt und allzu fordernd geworden, statt dankbare Zeitgenossen einer langen Phase des Friedens zu sein. Immerhin las ich dieser Tage auch mehrfach von den Befreiungen der Konzentrationslager und vom Ende des Krieges vor 75 Jahren.

Seid also alle, die da morgen kommen, aufs herzlichste begrüßt. Und: Haltet die Regeln ein!


Die bisher erschienen Bücher sind erhältlich im: www.littera-verlag.de/Bücher
(Das Autorenhonorar kommt dem Förderverein der IGS zu Gute.)

Tagebuch_6 Soeben erschienen
„Schulleiters Tagebuch 6,
Die Baustelle und Corona“
2021


Letztens 2 „Letztens 2 - ,
Erlebtes rund um die Schule“
2020

Tagebuch 5
„Schulleiters Tagebuch 5,
Warten auf den Bau“
2017 – 2019

Letztens 1 „Letztens –
Schulleiters Tagebuch ergänzende Kolumnen“

tagebuch_4_ "Schulleiters Tagebuch 4,
Der Weg zum Abitur
2014 - 2017"

Tagebuch 1-3"Deshalb IGS -
Positionen und Hintergründe zur Integrierten Gesamtschule mit Beiträgen aus Schulleiters Tagebuch 1 bis 3"

Tagebuch 3 "Schulleiters Tagebuch 3,
Die ersten Abschlüsse,
2012 - 2014"

Tagebuch 2 "Schulleiters Tagebuch 2,
Der Start in Deidesheim,
2010 - 2012"

Tagebuch 1 "Schulleiters Tagebuch,
Der Start in Wachenheim,
2010 - 2012"